Anforderungen an den Schutzpotentialausgleich - Interpretation

Gelbschnalbel
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Anforderungen an den Schutzpotentialausgleich - Interpretation

Beitrag von Gelbschnalbel »

Guten Tag!

Wieder mal die 60204-1, diesmal Kapitel 8.2.8 "Zusätzliche Anforderungen an den Schutz-Potentialausgleich für elektrische Ausrüstung mit Erdableitströmen größer als AC oder DC 10 mA" - es geht um die korrekte Interpretation des Einleitungssatzes:
Wo elektrische Ausrüstung an irgendeinen Netzanschluss einen Erdableitstrom (z.B. elektrische Antriebsysteme für regelbare Drehzahl oder Ausrüstung für Informationstechnik) von mehr als AC oder DC 10 mA hat, muss (müssen) eine oder mehrere der folgenden Bedingungen für das Schutzleitersystem erfüllt werden: [...]
Geht es lediglich um den Schutzleiter(strom) der Netzanschlussstelle der (Gesamt-)Maschine?

Sinn und Zweck des Abschnittes ist meiner Meinung nach, das Risiko einer möglichen gefährlichen Berührspannung an Maschinenteilen/ der gesamten Maschine mit den im Kapitel nachfolgenden Maßnahmen zu senken.

Demnach sollte doch auch zwischen Hauptschrank und allen von diesem versorgten dezentralen Steuerschränken eine "Maßnahmenprüfung" erfolgen... was ich auch mit dem Wort "Schutzleitersystem" in Verbindung bringe.

Deshalb die Frage: Ist der Anschluss der dezentralen Steuerschränken (und dann wiederum die abgehenden Anschlüsse) jedesmal ein seperater "Netzanschluss", den man überprüfen muss?

Ich denke schon. Auch die Fachliteratur (VDE Schriftenreihe 26 - 7. Auflage) sagt im Kommentar auf Seite 207:
Wenn jedoch ein Schutzleiter betriebsmäßig einen Ableitstrom führt, [...]
Gibt's irgendwo eine VDE-Definition was man unter "Netzanschluss" zu verstehen hat?

Entweder man sagt: "Die Anschlussstelle der Anlage/Maschine an das (Betreiber-)Netz (bis zum Hauptschalter)"
oder
"Anschluss eines elektrischen Betriebsmittels an das (Betreiber-)Netz - egal wie viele Verbindungen und Schalter dazwischen sind"


Mit freundlichen Grüßen

Gelbschnabel
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0.2. Glauben tut man in der Kirche.
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3. Spannungsfreiheit feststellen
4. Erden und danach Kurzschließen
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Gelbschnalbel
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Re: Anforderungen an den Schutzpotentialausgleich - Interpretation

Beitrag von Gelbschnalbel »

Weiter- & Querlesen hilft!

In der Fachliteratur (VDE Schriftenreihe 26 7. Auflage) heißt es weiter:
Führt die Schutzleiterverbindung zwischen Transformator [Anmerkung: als Maßnahme um den Schutzleiterstrom unter 10 mA zu drücken] (geerdetem Sternpunkt) und der elektrischen Ausrüstung trotzdem einen Ableitstrom > 10 mA, muss auch für diesen Teilabschnitt eine der möglichen Schutzmaßnahmen gegen Unterbrechung [...] vorgesehen werden.
aus Seite 213

und
Ableitströme bei fest errichteten Maschinen

[...] Durch die vielen Schutzleiterverbindungen [...] innerhalb einer Maschine kann keine gefährliche Fehlerspannung bei Unterbrechung des Schutzleiters auftreten.
aus Seite 211

aber:
Die Norm lässt keinen Verzicht auf eine der zusätzlichen Maßnahmen zu, auch wenn die Berührspannung bei Unterbechnung des Schutzleiters einen ungefährlichen Wert annehmen kann.
aus Seite 207


Somit dürfte meine Frage ja schon beantwortet sein:

Ja, jeder einzelne Schutzleiterstrom ist zu messen zu bewerten und die entsprechenden Maßnahmen in jedem Teilbereich einzuleiten, danach Warnhinweise neben der Netzanschlussstelle des Hauptschaltschrankes auf bzw. in jeden "Zwischenverteiler" und dezentralen Steuerschrank befestigen und die erforderlichen (und bis dahin durchgeführten) Maßnahmen in die Dokumentation "reinkloppen" - danach sollte man auf der "normkonformen Seite" stehen.

mm:1


MfG

Gelbschnabel

Nachtrag: Gibt aber schönen Aufwand an Überlegungen wann man wo nachmessen soll - ich denke es sollten alle aussagekräftigen Betriebszustände der Maschine (Motor 1 & 2 laufen, Motor 3 nicht, alle laufen etc...) bezüglich des Schutzleiterstromes erfasst werden. Die Ableitstrommessung muss also wohl überlegt & organisiert erfolgen.
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Gelbschnalbel
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Re: Anforderungen an den Schutzpotentialausgleich - Interpretation

Beitrag von Gelbschnalbel »

Hallo!

Es gibt eine weitere Problemstellung

Falls mehrere Schutzleiter neben der Netzanschlussklemme angeschlossen sind, wie macht man den bitte schön die ganze Zuordnung eindeutig?
Mit den Warnschilder "Achtung! Ableitstrom größer 10 mA" ist dies noch nicht getan. Von möglichen Platzproblemen für die Schilder mal abgesehen...

D.h. man müsste die eindeutige Zuordnung dann ausschließlich über die Dokumentation regeln.

MfG

Gelbschnabel
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IH-Elektriker
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Re: Anforderungen an den Schutzpotentialausgleich - Interpretation

Beitrag von IH-Elektriker »

Prinzipiell meint die EN60204-1 mit den Forderungen aus 8.2.8 die Netzanschlusstelle nach 5.1 bzw 5.2 für den Schutzleiter. Dabei wird allerdings vorausgesetzt das Netzanschlussstelle und die Komponenten welche erhöhte Ableitströme über den Schutzleiter erzeugen (i.d.R. sind dies elektronische Antriebssysteme bzw. deren Netzfilter) in räumlicher Nähe, sprich in einem Schaltschrank sitzen.

Gibt es hier jetzt eine räumliche Distanz weil Antriebssysteme bspw. in dezentralen Schaltschränken bzw. Klemmenkästen sitzen so kann man aus dem Schutzziel welches durch die Maßnahmen nach 8.2.8 erreicht werden soll ableiten das natürlich auch der Schutzleiter zu den dezentralen Komponenten entsprechend ausgelegt werden muss.

Was aber defintiv nicht notwendig ist wäre eine Auslegung aller Schutzleiterkomponenten nach 8.2.8, also z.B. Klemmkästen der Aktorik/Sensorik usw. – und ggf. auch die Zuleitungen zu den Motoren da i.d.R. diese Ableitströme in den Netzfiltern der Zuleitung zu den Antriebssystemen entstehen. Somit lässt sich schon oftmals eine Aussage auch ohne Messung treffen, d.h. der Aufwand ist gar nicht mal so groß wie befüchtet.

Meinem Infostand nach wird dieser Part der EN60204-1 in der geplanten Neuausgabe vereinfacht bzw. umgestaltet, wäre halt nur die Frage wann diese Neuausgabe jetzt endlich veröffentlicht bzw. gültig gesetzt wird….
Mail Mayer
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Re: Anforderungen an den Schutzpotentialausgleich - Interpretation

Beitrag von Mail Mayer »

Hallo,

mich würde mal interessieren wie man einen einzelnen Ableitstrom in einer vermaschten Erdanlage misst?

Gruß Maik
E-Jens
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Re: Anforderungen an den Schutzpotentialausgleich - Interpretation

Beitrag von E-Jens »

Hallo,

einfach die Strommesszange um den entsprechenden Leiter und ablesen.
Gruß Jens
Mail Mayer
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Re: Anforderungen an den Schutzpotentialausgleich - Interpretation

Beitrag von Mail Mayer »

Meine Frage bezog sich mehr darauf ob die Ableitstrommessung die richtige Methode ist. Denn dazu müsste man den zu messenden Stromkreis ja erdmäßig isolieren. Also alle Erdverbindungen außer den Schutzleiter selber.
Das ist bei Maschinen oft unmöglich.
Deswegen eher eine Differenzstrommessung.
Wobei mir aufgefallen ist, das die Messzangen schon Werte messen wenn man sich bestimmten Bereichen im Schaltschrank schon nähert.

Wenn ich bei einer Wiederholungsprüfung zu hohe Ableitströme messe die laut Hersteller normal sind, wieso kennzeichnet der Hersteller das nicht schon.
IH-Elektriker
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Re: Anforderungen an den Schutzpotentialausgleich - Interpretation

Beitrag von IH-Elektriker »

Mail Mayer hat geschrieben: Samstag 30. März 2019, 02:24 Wenn ich bei einer Wiederholungsprüfung zu hohe Ableitströme messe die laut Hersteller normal sind, wieso kennzeichnet der Hersteller das nicht schon.
Warum muss ich ständig bei Neumaschinen Punkte aus der EN60204-1 bemängeln -von "A" wie Anschluss bis "Z" wie Zugentlastung ?

Ganz einfach, weil viele Hersteller die Norm nur rudimentär beachten, diejenigen welche die Installation ausführen teilweise die Norm nur vom hörensagen kenn, die Konstrukteure zwar die Norm in irgendeinem Ordner im Büro stehen haben, ansonsten aber nach dem Motto "haben wir schon immer so gemacht" arbeiten....

Dieser Punkt zu erhöhten Ableitströmen steht sein 2006 in der Norm, ich bin mir ziemlich sicher das wenn man stichprobenartig bei diversen Maschinenbauern die Elektrokonstrukteure danach frägt man bei etlichen ein erstauntes Gesicht zu sehen bekommt, so nach dem Motto "da steht was in der Norm...?"

Das ist leider die bittere Realität.
Gelbschnalbel
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Re: Anforderungen an den Schutzpotentialausgleich - Interpretation

Beitrag von Gelbschnalbel »

Mail Mayer hat geschrieben: Samstag 30. März 2019, 02:24 Meine Frage bezog sich mehr darauf ob die Ableitstrommessung die richtige Methode ist. Denn dazu müsste man den zu messenden Stromkreis ja erdmäßig isolieren. Also alle Erdverbindungen außer den Schutzleiter selber.
Das ist bei Maschinen oft unmöglich.
Deswegen eher eine Differenzstrommessung.
Wobei mir aufgefallen ist, das die Messzangen schon Werte messen wenn man sich bestimmten Bereichen im Schaltschrank schon nähert.

Wenn ich bei einer Wiederholungsprüfung zu hohe Ableitströme messe die laut Hersteller normal sind, wieso kennzeichnet der Hersteller das nicht schon.
Hallo!

Das kommt ganz darauf an was dich interessiert. Der (Gesamt-)Ableitstrom setzt sich aus Schutzleiterstrom + Rest (über restliche Nicht-Schutzleiter-Erdungen) zusammen.

Da der von mir angesprochene Normenabschnitt sich nur auf die Maßnahmen beziehen die für Schutzleiter gelten (ab 10 mA) wäre die Messzangenmethode besser. Bei der Differenzstrommessung bekommst man den Gesamtableitstrom, also auch den Anteil der nie über den Schutzleiter fließt.

@ IH-Elektriker:

Genau so ist es.

Aber wir als Hersteller arbeiten dran, deshalb bin ich froh das man hier im Forum auf Fachwissen wie auch auf Erfahrungswissen zurückgreifen kann. Irgendwo muss mal irgendwer anfangen. Fragt sich nur noch wie man sowas Controlling erklärt warum plätzlich die Kosten steigen... da fragt mancher wie das wohl die Konkurrenz macht...?

Aber solche Logik wäre ein "Race to the bottom". Wer sich auf Normen beruft muss sie anwenden oder sehr sehr gute Gründe liefern (und dokumentieren) warum diese und jene nicht auch an der Maschine angewendet werden. Ich möchte mit gutem Gewissen Arbeiten und unsere Produkte verkaufen.


MfG
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Re: Anforderungen an den Schutzpotentialausgleich - Interpretation

Beitrag von Mail Mayer »

Gelbschnalbel hat geschrieben: Sonntag 31. März 2019, 16:04
Das kommt ganz darauf an was dich interessiert. Der (Gesamt-)Ableitstrom setzt sich aus Schutzleiterstrom + Rest (über restliche Nicht-Schutzleiter-Erdungen) zusammen.

Da der von mir angesprochene Normenabschnitt sich nur auf die Maßnahmen beziehen die für Schutzleiter gelten (ab 10 mA) wäre die Messzangenmethode besser. Bei der Differenzstrommessung bekommst man den Gesamtableitstrom, also auch den Anteil der nie über den Schutzleiter fließt.
Mit der Differenzstrommessung klammere ich die Transferströme aus. Denn ich will ja den Ableitstrom der Maschine messen und muss die Ströme ausklammern die ich über andere metallische Verbindungen einschleife. Entweder über Rohrsysteme oder andere zusätzliche Schutzmaßnahmen.
Es ist ja auch so das sobald ein Erdring entsteht ich nicht mehr beurteilen kann wer für den gemessenen Strom verantwortlich ist.

Gruß Maik
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