Abschaltzeiten / Abschaltbedingungen TN-Netz

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cyclist
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Abschaltzeiten / Abschaltbedingungen TN-Netz

Beitrag von cyclist »

Moin zusammen!
Im Rahmen einer Anlagenprüfung kam die Frage auf, nach den max. zulässigen Abschaltzeiten bzw. dem maximal zulässigen Schleifenimpedanzwert (Zsch / Z L-PE) und dem daraus resultierenden minimal erforderlichen Kurzschlussstrom (Ik).
Zusätzlich noch mit der Problematik der Erwärmung (der Leitung) beim Betrieb leistungsstarker Betriebsmittel.

Gegeben sei mal eine Zuleitung von einer Hauptverteilung zu einem Schaltschrank.
NYY-J 4x50mm², komplett im Erdreich verlegt (je 3m an den Enden lasse ich mal unberücksichtigt), Länge ca. 600m (!), Absicherung mit NH gG/gL 80A (neue Sicherungen), Stromaufnahme ca. 60A (Motor im Stern-Dreieck-Anlauf), TN-C-S-Netz, 230/400V 50Hz.

Standardmäßig geht man ja in diesem Fall von einer max. Abschaltzeit von 5 Sekunden aus (Verteilerstromkreis).
Laut den im Messgerät hinterlegten Grenzwerten (GMC Mxtra) sind hierfür min. 660A (incl. der automatisch hinzu addierten Messfehlertoleranz von 2/3) erforderlich.
Bei Stillstand der Anlage (Motor aus, nur Haustechnik u. Steuerung in Betrieb und Zuleitung kalt) sind die Zschl-Werte noch deutlich über 660A (750-850A).
Nach rund einer halben Stunde Betrieb der Anlage (und demzufolge Erwärmung der Zuleitung und daraus sich ergebener Änderung der Zschl-/Ik-Werte) liegen die Ik-Werte nur noch bei rund 520-540A.

In Bezug auf den Grenzwert von 660A sind die Abschaltbedingungen nun nicht mehr ausreichend.
Die Anschlüsse wurden alle kontrolliert und die 3 NHs wurden, um hier einen Fehler auszuschließen, gegen neue ausgetauscht. Kleinere Sicherungen sind leider nicht möglich, eine Reduzierung der Leistung ebenfalls nicht, genauso wenig wie eine neue dickere Zuleitung.

Nun steht in der DIN VDE 0100-410:2007-06 411.3.2.1 (grau schattierter Bereich) sinngemäß: "... das es ausreichend ist, wenn im Fehlerfall mindestens der Strom fließt, der eine normgerechte Auslösung der Überstromschutzeinrichtung für den Überlastbereich (großer Prüfstrom) bewirkt.
Wo finde ich die Daten zum "großen Prüfstrom" für o.g. NH 00 gG/gL 80A? :confused:
Wären demnach die Abschaltbedingungen hier noch ausreichend? :confused:
Zusätzlich heißt es ja in obiger Norm unter 411.3.2.6: Wenn automatische Abschaltung nach ... in der in 411.3.2.2 / 411.3.2.3 / 411.3.2.4 geforderten Zeit (für diesen Fall 5s) nicht erreicht werden kann, muss ein zusätzlicher Schutzpotentialausgleich nach 415.2 vorgesehen werden.
Ein zusätzlicher PA ist vorhanden, bzw. würde sowieso nachgerüstet (viel ist da so oder so nicht zu erden).
Gilt dieser Passus in diesem Fall? :confused:

Anderes Thema, nicht auf obigen Fall bezogen:
In der DIN VDE 0100-410:2007-06 411.3.2.2 Tabelle 41.1 werden ja verschiedene Abschaltzeiten für Endstromkreise bis 32A genannt.
Den meisten sind ja nur die 0,2/0,4s bekannt. Die für TT-Netze genannten 70ms und 1s (Verteilerstromkreise) sind den meisten allerdings unbekannt.

Bezüglich der Abschaltzeiten geht es mir auch mehr darum, anderen Prüfern die Thematik mal darzulegen. :rolleyes:
Vorsichtshalber: Dieser Beitrag stellt keine, in diesem Forum nicht zulässige, Rechtsberatung dar.
Ciao + Gruss
Markus
ego11
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Beitrag von ego11 »

Warum keinen FI einbauen?
Starkstromer
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Beitrag von Starkstromer »

Den großen Prüfstrom der verschiedenen Sicherungen findest Du in den Normen für die Herstellung der Sicherungen.

Die nationale Anmerkungung in der VDE-Bestimmung ( grau schattiert ) hat man wahrscheinlich gemacht, weil nicht in jedem Fall der Auslösewert einer Sicherung über den angegebenen Faktor in der Tabelle mit den Sicherungskurven übereinstimmt.

Bei einem so langen Kabel im Außenbereich muss man sich beim Potentialausgleich besonders Gedanken machen wie der Standort des Menschen, der gefährdet wird, in den Potentialausgleich mit einbezogen ist.Wenn hier besonders ungünstige Verhältnisse entstehen, kann der Körperstrom durch den Menschen im Fehlerfall zu hoch werden.

Die kürzeren Abschaltzeiten bei anderen Netzformen sind dadurch begründet, dass im Fehlerfall die Berührungsspannung am defekten Teil wesentlich höher ist als im TN-Netz.
Teletrabi
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Beitrag von Teletrabi »

Moin,

zusätzlicher PA m.W. nur für E-Betriebsräume zulässig. Es darf dabei kein fremdes, nicht eingebundenes (Erd)potential im Handbereich berührbar sein. Vorsicht mit dem Zonenrand zwischen echtem Erdpotential und "heißem" PA => Isolierende Umgebung oder Pot-Steuerung. Vorsicht beim reintragen von Leitungsrollern, länglichem Material etc.
Ausreichende Dimensionierung des PA mindestens anhand der maximalen Schaltzeiten, Vorsicht mit reduzierten PE/PA-Querschnitten!


Gibt's keine passend parametrierbaren Leistungsschalter? (Oder ggf. auch MSS)
Starkstromer
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Beitrag von Starkstromer »

Es gibt die Möglichkeit des erdfreien örtlichen Potentialausgleichs nach den Bestimmungen, dies ist aber wirklich nur in elektrischen Betriebsräumen möglich.

Angesprochen war der örtliche zusätzliche Potentialausgleich und dieser ist nur möglich, wenn die Standfläche des Menschen mit einbezogen werden kann (z.B. Gitterroste) oder der Standort wirksam elektrisch isoliert ist.

Ist der Standort leitfähig und das Einbeziehen in den örtlichen zusätzlichen Potentialausgleich nicht möglich, darf diese Ersatzschutzmaßnahme nicht angewendet werden.

Gruß
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50Hertz
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PA-zusätzlich-örtlich-erdfrei

Beitrag von 50Hertz »

liebe Kollegen!

Ich gehöre nicht zu den Leuten, die nicht mehr als 400 V schreiben können. Trotzdem würde ich gerne verstehen, was hier so erzählt wird.
Wenn dies nur für Spezialisten ist, okay, dann sag ich nix mehr.
Starkstromer hat geschrieben:Es gibt die Möglichkeit des erdfreien örtlichen Potentialausgleichs nach den Bestimmungen, dies ist aber wirklich nur in elektrischen Betriebsräumen möglich.
"nach den Bestimmungen" - Was heißt das?

Natürlich kann ich mir einen erdfreien Potentialausgleich vorstellen. Ich frage mich allerdings ob dies sinnvoll ist. Was passiert an der Stelle wo ich vom PA auf die Erde trete?

Starkstromer hat geschrieben: Angesprochen war der örtliche zusätzliche Potentialausgleich und dieser ist nur möglich, wenn die Standfläche des Menschen mit einbezogen werden kann
Nach meiner Vorstellung, kann es nur um den Menschen gehen. Unbegehbare Bereiche, sind für mich zunächst nicht wichtig, wenn es um Schutzmaßnahmen geht.
Starkstromer hat geschrieben: Ist der Standort leitfähig und das Einbeziehen in den örtlichen zusätzlichen Potentialausgleich nicht möglich, darf diese Ersatzschutzmaßnahme nicht angewendet werden.
Das kann ich nicht sinnvoll in mein Gehirn bringen:
Wenn etwas nicht möglich ist, darf es nicht angewendet werden?
Ist das für Juristen oder Techniker geschrieben?

------

Schon der Begriff "Ersatzschutzmaßnahme" fällt mir schwer. In der Technik verwenden wir doch oft die eine oder andere Maßnahme. Eine Schutzmaßnahme ist doch eine Maßnahme, die Schutz gebietet? Erreiche ich die Schutzwirkung nicht mit der gewünschten Maßnahme, kann ich vielleicht eine andere Maßnahme wählen?
"Ersatzschutzmaßnahme" hört sich wie "Hilfsbrücke" an. Da ist dann doch nicht die gewünschte Sicherheit vorhanden?

Gerne werde ich (auch über PN) über die Hebung meiner Wissenslücken informiert.

Grüße
50Hertz
Starkstromer
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Beitrag von Starkstromer »

Hallo 50 Hertz,

Deine Einwände sind für mich nun nicht verständlich.
Ein Beispiel für die Wirkung des erdfreien Potentialausgleichs ist der Vogel auf der 110 KV Leitung, wenn er wegfliegt, darf er natürlich nicht mit den Flügeln ein geerdetes Teil berühren.

Von unbegehbaren Standflächen war keine Rede. Beim Potentialausgleich geht es um die Verringerung des Spannungsunterschiedes von gleichzeitig berührbaren Teilen. Wenn der Mensch auf einer idealen Erde steht, nutzt der Potentialausgleich im Handbereich garnichts. Beim Auslösen der Sicherungen durch Überstrom steht am Schutzleiter und den damit verbundenen Metallteilen im ungünstigsten Fall 110 V an.

Ersatzschutzmaßnahme ist zu sehen wie der ehemals der bei VW verwendete Ersatzreifen mit kleinerem Querschnitt und begrenzter Tragfähigkeit. Man kann damit zwar fahren aber es darf solch ein Teil nicht zur ständigen Ausrüstung gehören.

Diese Ausführungen gehören nicht direkt zur Anfrage, deshalb möchte ich nicht noch ausführlicher werden. Sende mir Deine Telefonnummer auf PN, dann können wir gerne darüber diskutieren.

Gruß
chris11
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Beitrag von chris11 »

Hört sich für mich so an, das man besser ein TT mit FI daraus macht.

MFG
Christian
jf27el
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Beitrag von jf27el »

Hallo chris,

ich denke, dass es bei den Fragen von 50Hertz und Starkstromer schon längst nicht mehr um Netzformen geht. Wie schon Teletrabi schieb ist auch meine Vermutung, dass es sich um "Schutz durch nichtleitende Räume" mit internem Potentialausgleich aller leitendenden Teile geht.
Beide haben -wie auch ich- die Zeit der Klassifizierung nach Schutzmaßnahmen <und nicht nach Netzen> beruflich durchlebt und so hoffe ich natürlich, dass sie das hier im Forum erklären und klären. (e.g. warum Starkstromer von einer Ersatzschutzmaßnahme spricht -<< ich vermute da er Schutzmaßnahmen ohne Abschaltung beziehungsweise Meldung des ersten Fehlers so tituliert>><<Könnte natürlich auch der zusätzliche Potentialausgleich bei erhöhten Ableitströmen sein>>)

Was ich auch sehe ist, das jeder der beiden einen anderen Blickwinkel hat.
Einer schreibt von der Elektroanlage innerhalb der Tup*erdose, der andere wie sich das nach Heben des Deckels verhält.:D

Ich denke eine interessante Diskussion zwischen zwei Vollblutspezialisten, die ich hoffe im Forum lesen zu können - das bring mir persönlich was. dd1

jf27el
„Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind.“ (I.Kant)
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50Hertz
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Potentialdifferenzen

Beitrag von 50Hertz »

Starkstromer hat geschrieben:Hallo 50 Hertz,
Ein Beispiel für die Wirkung des erdfreien Potentialausgleichs ist der Vogel auf der 110 KV Leitung, wenn er wegfliegt, darf er natürlich nicht mit den Flügeln ein geerdetes Teil berühren.
Hallo Starkstromer!
Auf einer 110 kV-Leitung sitzt, aus gutem Grund, kein Vogel.

Grüße
50Hertz
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