Strom phasenverschoben

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Jona Pesduh
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Strom phasenverschoben

Beitrag von Jona Pesduh »

Hallo,

ich bin auf folgende Zeile gestoßen:
"Das elektrische Verbundnetz wird in Europa mit sinusförmiger Wechselspannung und einer Frequenz von 50 Hertz (Hz) betrieben [..] Der Strom ist durch eine Sinusfunktion derselben Frequenz gegeben, die allerdings gegen die Spannung phasenverschoben sein kann."

Aus: Bergmann, Schaefer; Lehrbuch der Experimentalphysik, Band 2, Elektromagnetismus; 9. Auflage, 2006; Seite 4

Nun würde ich gerne von Euch erklärt bekommen, wie ich die Phasenverschiebung von Strom und Spannung zu verstehen habe.

Ist die Phasenverschiebung immer da? Ist sie konstant gleichbleibend in ihrer Verschiebung oder abhängig vom Widerstand (Verbraucher)? Wo liegen die Ursachen?

Im Voraus herzlichen Dank
:)
Teletrabi
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Beitrag von Teletrabi »

Welcher Studiengang, welches Semester?

> die allerdings gegen die Spannung phasenverschoben sein kann.

Kann klingt doch schonmal variabel, nicht?

Spulen, Kondensatoren sind dir ein Begriff?
Jona Pesduh
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Beitrag von Jona Pesduh »

Hallo Teletrabi,

Ich habe mir den Bergmann-Schaefer gekauft, weil ich einfach gerne lerne. kein Studium. Mein Studium ist der Tipler "Physik"

Meine Frage war eher so zu verstehen, dass ich gerne von jemandem ein paar Anekdoten in ganzen zusammenhängenden Sätzen hören wollte, wie man sich die Verschiebung in der technischen Wirklichkeit "ursächlich" vorzustellen hat.

Spulen und Kondensatoren sind mir ein Begriff. Aber ich möchte nicht behaupten, dass mir alle ihre Eigenschaften bekannt sind, wenn es um ein Zusammenspiel mit solchen Komponenten bei Wechselspannung geht. Hätte am liebsten eine ausführliche Erklärung der Ursache.

(((Bei Spulen würde ich jetzt spontan daran denken, dass diese Energie im Magnetfeld speichern, welche dann zeitverzögert ein Gegenfeld hervorruft. Aber inwiefern sich das elektrotechnisch auswirkt oder sogar stört, kann ich nicht zuende spinnen...
Kondensatoren kenne ich nur in ihren ersten Lehr-Definitionen als Speicher von Energie, wobei das Laden/Entladen auch wieder einer Zeitkurve unterliegt.)))

Liebe Grüße
:)
Teletrabi
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Beitrag von Teletrabi »

Moin,

Induktivitäten (Spulen => Magnetfeld) und Kondensatoren (im Verhalten ganz grob ähnlich einem Akku, nur dass keine chemischen Umwandlungen ablaufen) stellen Energiespeicher dar. Betreibt man sie an Wechselspannung, werden die Speicher entsprechend der außen herrschenden Spannung angepasst, also fortlaufend umgeladen.
Eine Induktivität erzeugt bei Stromfluss ein dazu im Groben proportionales Magnetfeld. Ändert sich der Stromfluss, ist die Induktivität bestrebt den alten Zustand mit der in das Magnetfeld gesteckten Energie aufrechtzuerhalten. Quasi ein elektrisches Schwungrad. Heißt, bei der Spule verhält sich der Stromfluss träge und eilt der angelegten Spannung um 90° nach. Beim Kondensator hingegen haben wir eher eine Art Druckspeicher, es muss also Strom hineinfließen und die hineingesteckte Ladung = Elektronenmenge erhöht dann die am Speicher herrschende Spannung (Druck). Hier eilt die Spannung demhineingesteckten Strom um 90° nach. Oder - im eingeschwungenen Betrieb an Wechselspannung betrachtet - kann man genausogut sagen, der Strom eilt um 90° vor.
Derlei Speicherelemente (meist mit ungewollter Speicer-Eigenschaft, aber halt nicht zu vermeiden) gibt es im Versorgungsnetz nun jede Menge. Transformatoren und Motoren enthalten Wicklungen, also Spulen also immer auch induktive Anteile im Verhalten. Jeder Isolator ist hingegen auch immer ein Kondensator, da die Kondensatoren darauf beruhen, dass man in einem Isolator zwischen zwei Polen zwar keinen durchgängigen Stromfluss hinbekommt, aber man zumindest die Elektronen von ihrer angestammten Position etwas verdrängen kann und auf der einen Seite ein Elektronenüberschuss, auf der anderen Seite hingegen ein Mangel vorliegt.

Die zum umladen erforderlichen Ströme ergeben langfristig betrachtet keine energetische Wirkung. Was man bei ansteigender Netzspannung zunächst hineinsteckt, fließt einem in der nächsten Viertel-Welle mit fallender Netzspannung aus dem dann im vergleich stärker geladenen Speicher wieder zurück. Daher nennt man das ganze auch Blindleistung, da sie keine unmittelbare Wirkung entfaltet. Natürlich muss sie aber zwischen geeigneten Speichern hin- und hertransportiert werden und jeder Strom erzeugt für sich wiederum eine kleine Verlustleistung aufgrund der Leitungserwärmung. Zudem muss ein passender, gegenläufiger Speicher vorhanden sein. Als netten Regelmöglichkeit dienen da die üblichen Synchrongeneratoren, da man dort über die Höhe des erregerstroms gezielt ein kapazitives oder induktives verhalten steuern kann. Zudem gibt's zur gröberen Regelung Kompensationsanlagen, die die meist induktive Last größerer Abnehmer durch zuschalten entsprechender Kondensatorbänke auszugleichen versucht, sodass dem Netz nur Wirkleistung entnommen wird und man sich die bei größereren Verbrauchern separat abgerechnete Blindleistung spart.
Jona Pesduh
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Beitrag von Jona Pesduh »

WOW !!! dank1

Teletrabi, danke!

Du hast mir das gegeben, was ich mir gewünscht habe :)

Ich habe Deine Antwort verstanden und nachvollziehen können. Ich werde es aber mehrere Male lesen müssen, um es zu verinnerlichen.

Die Begriffe Blindleistung, Synchron-Generatoren und Kompensationsanlagen, sind mir E-technisch nicht vertraut, aber ich habe durch Deine Antwort ein größeres Verständnis erhalten und werde die 3 Begriffe aufnehmen und vielleicht daran weiter lesen.


Nochmals vielen Dank

Liebe Grüße
:)
Teletrabi
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Beitrag von Teletrabi »

Wirkleistung P = tatäschlich wirksam umgesetzte Energie
Blindleistung Q = durch 90° Phasenverschiebung von Strom und Spannung über die Zeit gemittelt nicht wirksame (*) Leistung zum Laden der oben genannten Speicher. (**)
Scheinleistung S = aus Effektivwert von Strom und Spannung nach der Formel S=U*I resultierende scheinbare Leistung

S = Wurzel ( P²+Q²+ggf. D²)

Verschiebungswinkel phi = Phasenverschiebung zwischen Spannung und Strom
daraus abgeleitet:
Leistungsfaktor = cosinus (phi) = P/S = Verhältnis von Wirk- zu Scheinleistung
umgekehrt kann man natürlich auch das Verhältnis von Blind- zu Scheinleistung als sinus (phi) ausdrücken. oder P und Q zueinander über den Tangens. Gebräuchliche angabe und vorrangig von Interesse ist aber die cos(phi)-Variante. insbesondere bei Motoren


(*)durch 90° Phasenverschiebung trifft man auf folgende, jeweils für eine viertel Periodendauer bestehende Konstellationen
+I * +U = positive Leistung
-I * +U = negative Leistung
-I * -U = positive Leistung
+I * -U = negative Leistung
-------------------------------------
über die Zeit aufsummiert/integriert = 0.

Hingegen besteht für die Wirkkomponente mit ihren 0 ° Verschiebung in beiden halbwellen immer ein positives Vorzeichen für die Leistung. Bzw. bei 180° immer ein negatives (je nach Bickrichtung und der Frage ob Einspeisung oder Verbrauch) , sodass über die Zeit sich die geleistete Arbeit (ggf. negativ) aufsummiert und nicht ausmittelt.

(**)
Die dargestellte Blindleistung nennt man auch Verschiebungs(blind)leistung. Sie ist gekennzeichnet durch die gleiche Frequenz von Strom und Spannung.
Daneben kann auch noch Blindleistung auftreten, die daraus resultiert, dass in Strom oder Spannung Anteile mit abweichender Frequenz enthalten sind. Die mitteln sich langfristig über mehrere Perioden betrachtet dann auch wieder aus. Nennt man dann Verzerrungsblindleistung (D)
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