Überspannungsschutz in Industriebauten

Hier geht es um allgemeine Normen der Elektrotechnik, Auslegungen und deren Anwendung
Josupei
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Überspannungsschutz in Industriebauten

Beitrag von Josupei »

Moin,

zwei passende Themen direkt hintereinander. :-)

Es werden ca. 1 bis 2 Schaltschränke (Steuerung und Antriebe) für eine komplette Industrieanlage (Werkshalle/ Gebäudekomplex) geliefert?

Mein Verständnis der Norminhalte ist so, dass nur der Anlagenbetrieber eine Vorgabe machen kann, welchen Überspannungs bzw. ggf. Blitzschutz er in der Einspeisung der jeweiligen Schaltschränke verbaut haben möchte, damit es in sein Gesamtkonzept passt.Welches als Lieferant einer Teilanlage i.d.R. nicht bekannt ist.

Wie verhält man sich nun, damit man eine Schaltanlage unter Berücksichtigung der Norm ausliefern kann, wenn man nicht an ein Gesamtkonzept heran kommt bzw. es das ggf. auch gar nicht gibt?

1. Pauschal Typ I+II einrüsten (getreu dem Motto: viel hilft viel)
2. Sich ein entsprechendes Schriftstück unterschreiben lassen, dass man ja gerne würde aber auf Grund eines nicht bekannten Gesamtkonzeptes eine Anwendung der Normen unmöglich ist?
3.?


Grüße
Josupei
Elo-Ocho
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Re: Überspannungsschutz in Industriebauten

Beitrag von Elo-Ocho »

Moinsen,

ohne mich jetzt zu weit aus dem Fenster lehnen zu wollen, die Schaltschränke gehören zu einer Maschine und nicht zum Gebäude?
Die Errichternorm ist die VDE 113-1, nicht die 0660-600, oder?

Dann sollte doch seitens des Betreibers für einen Blitz- und Überspannungsschutz in der el. Anlage gesorgt sein, oder? Vielleicht braucht Ihr noch Typ 3 Ableiter vor einigen Steuerungen, das kann man mit den paar Infos schwerlich bewerten.

Auf jeden Fall muss (sollte) der Betreiber Euch was zur erwartenden Spannungsqualität sagen können.

Ocho
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Josupei
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Re: Überspannungsschutz in Industriebauten

Beitrag von Josupei »

Moin,

ja die meisten Schaltschränke gehören zu einer Maschine, dort wenden wir aber EN 60204-1 (113-1) und EN61439-1/-2 (0660-600) gemeinsam an.

Wir bauen teilweise aber auch vorgeordnete Unterverteilungen i.d.R. <= 250A. (5-6NH-Trenner)
Dann sollte doch seitens des Betreibers für einen Blitz- und Überspannungsschutz in der el. Anlage gesorgt sein, oder? Vielleicht braucht Ihr noch Typ 3 Ableiter vor einigen Steuerungen, das kann man mit den paar Infos schwerlich bewerten.
Wie gesagt, von den meisten Betreibern bekommt man wenig bis keine Infos...

Typ 3 Ableiter usw. sind ein anderes Thema, normativ auch "noch nicht" gefordert. ;-)

Gruß
Josupei
Elo-Ocho
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Re: Überspannungsschutz in Industriebauten

Beitrag von Elo-Ocho »

Wenn keine Informationen vom Betreiber kommen, auch auf Nachfrage nicht, könnte es ja sein, dass er sich schlicht noch nie Gedanken dazu gemacht hat. Hier kann man, im Rahmen seiner Güte oder gegen Geld, natürlich mal Fragen, ob man sich Gedanken dazu machen soll.

"Mitten in eine Werkshalle" einen Typ 1 oder Kombiableiter zu setzen halte ich mal für weniger sinnvoll, kann das aber von hier aus nicht beurteilen.

Mit einem Typ 2 und ein bisschen Prosa dazu in den Begleitdokumenten wird man wahrscheinlich nicht viel falsch machen, ordentlichen PA in der Anlage (Halle, nicht Maschine) vorausgesetzt.

Den Typ 3 setzt man ja zum Schutz von Werten, Betriebssicherheit und so, nicht weil es geschrieben steht. Uns hier haben die Typ 3 Ableiter schon viel Kummer erspart...

Ocho
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IH-Elektriker
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Re: Überspannungsschutz in Industriebauten

Beitrag von IH-Elektriker »

Josupei hat geschrieben: Donnerstag 31. Januar 2019, 11:50
ja die meisten Schaltschränke gehören zu einer Maschine, dort wenden wir aber EN 60204-1 (113-1) und EN61439-1/-2 (0660-600) gemeinsam an.
Bei Maschinen sollte man beim Überspannungsschutz allerdings wissen das dieser in der EN60204-1 nicht zwingend gefordert, sondern nur als Option erwähnt wird – es heißt dort in 7.9 „können“ und nicht „muss“ oder „sollte“….

Und auch in der EN61439 wird nur der fachliche Teil aufgeführt wenn eben ein Überspannungsschutz verbaut ist.

Insofern ergibt sich hier für die Maschine ansich normativ kein Zwang einen Überspannungsschutz vorzusehen.

Um hier keine Missverständnisse und keine nachträglichen Probleme aufkommen zu lassen empfiehlt es sich vor der Beschaffung einer Maschine in Abstimmung zwischen Hersteller und Betreiber festzulegen ob ein Überspannungsschutz verbaut werden soll, beispielsweise im Lasten- bzw. Pflichtenheft o.ä. Vertragsunterlagen.

Das ein Überspannungs-Schutzkonzept bzw. das Vorsehen von Maßnahmen zum Überspannungsschutz gut angelegtes Geld ist wird jeder einsehen der schon mal mitbekommen hat was auf einmal nach einem direkten Blitzeinschlag bzw. einem Blitzeinschlag in der Nähe einer Produktionsstätte / Maschinenhalle alles an defekten Betriebsmitteln in den Maschinen zu tauschen ist – Netzteile, Bildschirme, Steuerungen, teilweise Leistungselektronik wie Umrichter, Sanftstarter usw.

Wenn da das Ersatzteillager nicht gut bestückt ist - ratzfatz stehen da Maschinen für ein paar Tage ;)

Leider lassen sich tlw. solche Dinge wie ein durchgängiges Überspannungsschutzkonzept welches auch die Maschinen mit einschließt denjenigen welche Gelder dafür bewilligen müssen nicht immer so „verklickern“ dass die Einsicht da ist sowas auch generell umzusetzen und dafür bei Maschinen ggf. leicht höhere Anschaffungskosten zu akzeptieren. So lange nichts passiert sind das Mehrkosten – wenn es dann gekracht und geknallt hat wird gejammert, aber auch da wird ein Blitzeinschlag gerne als „Schicksal“ angesehen und vergessen das man ja ggf. was dagegen tun kann dass das „Schicksal“ die halbe Produktion aushebeln kann ;)
Josupei
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Re: Überspannungsschutz in Industriebauten

Beitrag von Josupei »

Auch wenn ich eine Maschine baue kann ich doch andere Errichternormen für Niederspannungsanlagen nicht ignorieren. Hier 0100-443 und 0100-534.


Gruß
Josupei
Olaf S-H
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Re: Überspannungsschutz in Industriebauten

Beitrag von Olaf S-H »

Moin Josupei,

die VDE 0100-100:2009-06 beschreibt in Abschnitt 11.3 den Anwendungsbereich, für den die VDE 0100 nicht gilt. Hier sind Maschinen aufgeführt. Die Anwendung von VDE 0100 kann daher nur durch einen Verweis aus der VDE 0113-1 geraus oder durch Auftraggeberfestlegung erfolgen.

Gruß Olaf
Dies ist keine rechtsverbindliche Auskunft sondern meine Meinung bzw. mein Tipp für den Bereich der Bundesrepublik Deutschland! Die einschlägigen Normen/Vorschriften (z. B. DIN, VDE, TAB, DGUV, TRBS, BekBS, NAV, EN, LBO, LAR, ArbStättV, BetrSichV, ProdSG, ...) sind zu beachten. Ein Rechtsanspruch kann hieraus nicht abgeleitet werden. Die Nennung von Fundstellen in Regelwerken stellt keine Rechtsberatung sondern nur die Sichtweise des Verfassers dar.
vde1
Für elektrotechnische Laien gilt: Dieser Beitrag erläutert die technischen Zusammenhänge. Die Umsetzung obliegt den konzessionierten Fachbetrieben (§13(2)NAV).

"Wer eine Handlung begeht, der übernimmt auch alle daraus folgende Pflichten." §33 I-3 prALR 1794
Elo-Ocho
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Re: Überspannungsschutz in Industriebauten

Beitrag von Elo-Ocho »

Moinsen,
Josupei hat geschrieben: Freitag 1. Februar 2019, 00:15 Auch wenn ich eine Maschine baue kann ich doch andere Errichternormen für Niederspannungsanlagen nicht ignorieren.
...
Olaf S-H hat geschrieben: Freitag 1. Februar 2019, 05:11 ...
die VDE 0100-100:2009-06 beschreibt in Abschnitt 11.3 den Anwendungsbereich, für den die VDE 0100 nicht gilt. Hier sind Maschinen aufgeführt. Die Anwendung von VDE 0100 kann daher nur durch einen Verweis aus der VDE 0113-1 geraus oder durch Auftraggeberfestlegung erfolgen.
...
Nun ist es aber natürlich so, dass die Verweise auf Teile der 0100 und anderen Normen zuhauf in der 113-1 vorhanden sind, daher habt Ihr schon beide recht.

Ocho
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Josupei
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Re: Überspannungsschutz in Industriebauten

Beitrag von Josupei »

Elo-Ocho hat geschrieben: Donnerstag 31. Januar 2019, 12:01

Mit einem Typ 2 und ein bisschen Prosa dazu in den Begleitdokumenten wird man wahrscheinlich nicht viel falsch machen, ordentlichen PA in der Anlage (Halle, nicht Maschine) vorausgesetzt.

Den Typ 3 setzt man ja zum Schutz von Werten, Betriebssicherheit und so, nicht weil es geschrieben steht. Uns hier haben die Typ 3 Ableiter schon viel Kummer erspart...

Ocho
Da die Anlage sehr verteilte Komponenten versorgt (z.B. Pumpen), z.T. auch in anderen Räumen bzw. teilweise sogar frei zugängliche Steckdose für Service ist eine eingeschränkte Sicht auf die 0113-1 aus meiner Sicht nicht vertretbar. Ich finde daher den o.g. Vorschlag von Ocho interessant.

Gruß

Josupei

dank1
IH-Elektriker
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Re: Überspannungsschutz in Industriebauten

Beitrag von IH-Elektriker »

Josupei hat geschrieben: Freitag 1. Februar 2019, 00:15 Auch wenn ich eine Maschine baue kann ich doch andere Errichternormen für Niederspannungsanlagen nicht ignorieren. Hier 0100-443 und 0100-534.
Jein.

Für eine Maschine nach Maschinenrichtlinie 2006/42/EG gelten die darin harmonisierten Normen. Und nicht das komplette Normenwerk und alle VDE-Vorschriften.

Und die "führende" Elektronorm für Maschinen ist die EN60204-1 welche allerdings (logischerweise) auch munter und lustig auch auf andere EN-/VDE-Normen verweist. Daher das "Jein" oben ;)

Wobei es jedem Maschinenbauer frei steht auch andere Normen mit heranzuziehen wenn er dadurch das durch die Maschinenrichtlinie vorgegebene Schutzniveau erhöhen kann bzw. diese Normen für ihn wichtig erscheinen.

Und dann muss man selbstverständlich auch noch die C-Normen für die jeweiligen Maschinen beachten - das ist ein MUSS wenn solche C-Normen existieren !
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